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Laborberichte

Marcus Jauer „Ein tierischer Egoist

Lyrische Lakonie

Biologie als Elegie, Ökologie als Prosagedicht? Warum nicht. Das liest sich in dem Gesellschaftsmagazin "Dummy" so:


Es gibt heute nur noch Gerüchte darüber, wie der Nilbarsch in den Victoriasee kam.

Die einen sagen, europäische Entwicklungshelfer hätten ihn Anfang der 50er Jahre in der ugandischen Hauptstadt Entebbe ausgesetzt.

Ein großer Fisch sollte den kleinen Fischern dort helfen, weshalb er von ihnen bis heute Mkombozi genannt wird, der Erlöser.



Extreme Lakonie, fast so, als hätte Papa Hemingway beim Angeln einhändig ein paar Sätze protokolliert. Diese hemingwaysche Lakonie ist dabei aber gepaart mit einem elegischen Tonfall. Das Thema und der fatalistische, anklagende Ton scheint am Dokumentarfilm "Darwin's Nightmare" orientiert zu sein, womöglich ist es auch die Recherche. Die Unterteilung des Textes in kurze Zeilen sendet dazu das Signal: Bitte lesen wie ein Gedicht.

Ist das schwülstig, ist das eine Form der Ökofrömmigkeit, das Äquivalent eines politisch korrekten Gebetes? Vielleicht. Auf jeden Fall ist es wohltuend, diese überraschende Textsorte irgendwo im Niemandsland zwischen Wissenschaftsjournalismus und Kunst zu finden, zwischen Bericht und Gedicht.

Der Wissenschaftsjournalismus wird selten als Inbegriff formaler Innovation gesehen. Das ist schade und fast schon verwunderlich. Denn es gibt eine lange Tradition eigenwilliger, packender Text-Experimente, man denke nur an die Autobiografie des Bongospielenden Physikers Richard Feynman, oder an Faradays wunderbare Vorlesung "Naturgeschichte einer Kerze".

Und wäre es nicht eigentlich nahe liegend, dass der Wissenschaftsjournalismus, der tagtäglich über das Abenteuer von Versuch und Irrtum berichtet, sich selber als Experimentierfeld versteht?


Hilmar Schmundt

Er kann das Maul einfach nicht halten: Erst hat der Victoriabarsch alles weggefressen, was außer ihm im See herumschwamm. Nun beginnt er damit, sich selbst auszurotten. Ein Katastrophenbericht.

Der Victoriasee liegt im Osten Afrikas. Er wurde im August 1858 von dem britischen Geografen John Hanning Speke entdeckt, der aufgebrochen war, die Quelle des Nils zu suchen.
Auf seinem Weg war er an einigen Seen vorbeigekommen, dieser war der größte.
Er benannte ihn nach Königin Victoria und hielt bis zum Ende seines Lebens daran fest, dass hier der Nil entspringt, auch als dessen wahre Quelle längst in den Bergen nördlich davon gefunden worden war.
Dass er den zweitgrößten See der Welt entdeckt hatte, genügte ihm nicht.

Der See erstreckt sich auf einer Fläche, die so groß ist wie Irland.
Er ist ein relativ junger See, vor gut vierzehntausend Jahren gab es ihn noch nicht, aber das Leben entwickelte sich schnell in ihm.
Es gibt allein fünfhundertfünfzig verschiedene Fischarten in ihm.


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Marcus Jauer


Marcus Jauer, geboren 1974 in Borna, ging nach der Journalistenschule von München nach Berlin, schrieb dort sieben Jahre für die Süddeutsche Zeitung Porträts, Reportagen und Streiflichter. Arbeitet jetzt im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. 1999 bekam er den Helmut-Stegmann-Preis, 2000 den Axel Springer Preis.
Dokumente
Marcus Jauer: Ein tierischer Egoist (Teil 1, jpg)
Marcus Jauer: Ein tierischer Egoist (Teil 2, jpg)

erschienen in:
Dummy,
am 17.09.2007

 

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